Antrag: | Positionspapier "Fächergruppe für alle" |
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Antragsteller*in: | Markus M. Heimbach (KV Hamburg-Altona) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 05.11.2022, 19:28 |
Ä1 zu A3NEU: Positionspapier "Fächergruppe für alle"
Antragstext
Unterricht in der „Fächergruppe ´Religion – Philosophie‘ für alle“ – ein Beitrag zu Identitätsbildung und Entwicklung von Dialog- und Pluralitätsfähigkeit
Ein Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Christ*innen von Bündnis 90/Die Grünen
Vorbemerkung
Ganz unterschiedliche Voraussetzungen prägen die Bedingungen des Unterrichts in den Fächern Religion und Philosophie (FN1) in den Bundesländern und Regionen Deutschlands. Insofern kann ein bundesweites Konzept nicht eine konkrete Lösung für alle Gegebenheiten festschreiben, aber es kann einen machbaren organisatorischen Rahmen und vor allem auch eine zukunftsträchtige Zielorientierung entwerfen, welche ein wesentliches gemeinsames Merkmal aufgreift: Unsere Gesellschaft ist vor allem in den letzten 50 Jahren deutlich pluraler geworden und Offenheit und Respekt für unterschiedliche Lebensentwürfe und Weltsichten, nicht-religiöse und religiöse, sind spätestens in der modernen, pluralen globalisierten Welt eine unverzichtbare Voraussetzung für Freiheit, sozialen Frieden und Gerechtigkeit.
In Deutschland nimmt insbesondere unter jungen Menschen die religiöse und weltanschauliche Vielfalt zu. Ursache hierfür ist die hohe Zahl an Kirchenaustritten, die wachsende Anzahl konfessionsfreier Menschen sowie die vermehrte Migration aus anderen Gesellschaften mit ihren Religionen, Ethiken und Kulturen treffen in unserer Gesellschaft teilweise mit viel Unverständnis oder sogar Unversöhnlichkeit in der direkten Konfrontation, aber auch in den Echokammern der sozialen Netzwerke aufeinander.
Austausch und Reflexion über individuelle Selbstverständnisse und ethische Grundsätze unseres gesellschaftlichen Miteinanders sind notwendig, um Verständnis füreinander und wechselseitigen Respekt sowie Ideologie- und Fundamentalismusprävention zu fördern. Deshalb brauchen Dialog und Begegnung mehr Raum und Zeit in der Schule, wozu auch die Fächer Religion und Ethik / Philosophie einen noch stärkeren Beitrag leisten können.
Wir suchen daher nach Wegen, um die genannten Einzelfächer in einer „Fächergruppe 'Religion - Philosophie' für alle“ (FN2) zu organisieren, in der phasenweise die jeweiligen Prägungen und Besonderheiten der Fächer gewahrt bleiben und zugleich ein dialogisches Lernen im Miteinander und in der Begegnung integriert wird (siehe unten).
Zielsetzungen
Religiöse Bildung in der Schule als öffentlichem Raum und für alle Schüler*innen ist vor dem Hintergrund unserer pluralen Gesellschaft notwendig zur Stärkung unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Angesichts der Herausforderungen unserer Gegenwart brauchen Schüler*innen in der Schule Zeit und Raum für das Erlernen eines echten Dialogs über weltsichtbezogene Fragen und über Fragen des Miteinanders bei aller Verschiedenheit von Weltanschauungen und Religionen. Eine „Fächergruppe ‚Religion - Philosophie‘ für alle“ gewährt im öffentlichen Raum der Schule die Erfahrung der Vielfalt an Religionen und Weltanschauungen in unserer immer pluraler werdenden Gesellschaft.
Die Religionsunterrichte innerhalb der Fächergruppe kommen dieser Aufgabe in spezifischer Weise nach, weil sie eine existenzielle Auseinandersetzung aus einer konkreten Religion heraus eröffnen (Art. 7.3 GG). Der Philosophie- / Ethik-Unterricht kommt dieser Aufgabe in spezifischer Weise nach, indem er primär nicht religiös geprägte Positionen und Haltungen zu Fragen der Existenz und des menschlichen Miteinanders in den Diskurs einbringt. Die unsere heterogene Gesellschaft widerspiegelnde „Fächergruppe ‚Religion – Philosophie‘ für alle“ eröffnet darüber hinaus gemeinsame Lernräume, die es in monoreligiösen und getrennten Lerngruppen so nicht gibt. Entsprechende Lernarrangements der Fächergruppe unterstützen so die Suchbewegungen der Schüler*innen nach Sinn und Werten und vermitteln Orientierungen in der Vielfalt gegenwärtiger Sinnangebote und ethischer Handlungsoptionen.
Von daher ist es für unsere Gesellschaft wünschenswert, dass die Schüler*innen gerade in Bezug auf die Grundfragen menschlicher Existenz in qualifiziert-dialogischen Lehr-Lern-Arrangements gemeinsam entsprechende Dialogkompetenzen und Pluralitätsfähigkeiten erwerben können und dort ihre eigenen religiösen und/oder weltanschaulichen Positionsbestimmungen reflektieren, festigen, weiterentwickeln oder auch neu bestimmen können. In diesem Sinne ist ein solcher gemeinsamer Unterricht auch ein Beitrag zur reflektierten Identitätsfindung der Schüler*innen.
Der religiös-bekenntnisgebundene Unterricht in der „Fächergruppe ‚Religion – Philosophie’ für alle“ wahrt dabei nach Art. 7.3 GG die positive wie auch die negative Religionsfreiheit, sofern einerseits das Recht auf positionelle Bildung in religiösen Fragen bestehen bleibt und andererseits das Recht der religionsmündigen Schüler*innen bzw. ihrer Eltern angewandt werden kann, Schüler*innen vom Religionsunterricht abzumelden.
„Fächergruppe ´Religion - Philosophie´für alle“ mit modularem Aufbau
Die beste Lösung für die religions- und weltanschauungsbezogene Bildung von morgen ist unserer Meinung nach die inhaltlich-curriculare Konzeption und flächendeckende Einführung einer „Fächergruppe ‚Religion - Philosophie‘ für alle“. Diese Fächergruppe ist bestimmt und geprägt durch enge inhaltliche und organisatorische Vernetzungen der beteiligten Fächer und durch ein zusätzliches gemeinsames Modul "Weltsichten im Dialog", das es neu zu entwickeln gilt und für das die Religions- und Philosophielehrkräfte gesondert zu schulen sind.
An einer vierzügigen Schule, an der es beispielsweise Lehrer*innen für katholische, evangelische (oder christlich-kooperative) und muslimische Religionslehre sowie für Ethik / Philosophie gibt (konfessioneller Religionsunterricht für Minderheiten, z.B. jüdische Religionslehre, könnte überregional in digitalen bzw. hybriden Unterrichtsformen organisiert sein), erstellt eine gemeinsame Fachschaft ein Schulcurriculum mit Themen für die Jahrgangsstufen und Halbjahre. Dies geschieht auf der Basis von entsprechend auszurichtenden Rahmenlehrplänen oder Bildungsplänen.
Die Schüler*innen besuchen beispielsweise im ersten Quartal den Unterricht in den klassischen Modulen der Fächergruppe und erarbeiten ihre eigenen Religions- bzw. Weltanschauungsperspektiven zu den vereinbarten Themen. Im zweiten Quartal reflektieren die Schüler*innen im Klassenverband in dem Integrationsmodul die Perspektiven und Ergebnisse aus der ersten Phase, erarbeiten weitergehende Aspekte, Wertungen und Haltungen des jeweiligen Themas und entwickeln daraus auch mitunter gemeinsame Projekte. Dieses neue Integrationsmodul ist kein Unterricht nach Art. 7.3 GG, auch wenn es von denselben Lehrkräften unterrichtet wird, die zuvor allerdings eine Weiterbildung für dieses Modul durchlaufen haben. So kann eine Klasse im zweiten Quartal den Unterricht im Integrationsmodul zum Beispiel mit dem Ethiklehrer, im vierten Quartal mit der muslimischen Religionslehrerin und im nächsten Schuljahr wiederum bei anderen Lehrkräften aus der Fächergruppe haben, je nach organisatorischen und pädagogischen schulinternen Überlegungen.
Eine solche „Fächergruppe ‚Religion – Philosophie‘ für alle“ ist als pädagogische Neuerung ein Gewinn für die Schüler*innen und damit für unsere Gesellschaft, die allerdings auch ihren Preis hat: Für die Religionsgemeinschaften als bislang je alleinigen “Trägern“ des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts bedeutet die „Fächergruppe ‚Religion – Philosophie‘ für alle“ eine Minderung „ihrer“ Religionsstunden um den Umfang des Integrationsmoduls. Für die Befürworter*innen einer reinen Religionskunde bedeutet die „Fächergruppe ‚Religion – Philosophie‘ für alle“ die curricular bestimmte Auseinandersetzung mit religiösen Perspektiven im Integrationsmodul, in dem auch speziell für das Integrationsmodul geschulte Religionslehrkräfte zum Einsatz kommen.
Fußnote 1: Mit dem Terminus „Philosophie“ sind in diesem Positionspapier die jeweiligen alternativen Fächer zum Religionsunterricht in denjenigen Bundesländern, in denen Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG erteilt wird, benannt:
„Ethik“: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen; „Ethik-Unterricht“: Sachsen-Anhalt; „Allgemeine Ethik“: Saarland
„Philosophie“: Hamburg, Schleswig-Holstein;
„Philosophie / Philosophieren mit Kindern“: Mecklenburg-Vorpommern;
„Praktische Philosophie“: Nordrhein-Westfalen;
„Werte und Normen“: Niedersachsen.
Fußnote 2: Der Begriff der Fächergruppe geht zurück auf die EKD-Denkschrift „Identität und Verständigung“ (1994; s. besonders S.73-81), in der die EKD „den bildungstheoretischen Rang dieser Fächergruppe als Pflichtbereich unterstreicht“ (34). Im Jahr 2006 hat die EKD in ihrer Denkschrift „Religiöse Orientierung gewinnen“ die Idee der Fächergruppe ausgeführt.
Fußnote 1:
Kommentare
Markus M. Heimbach:
S. 73-81 (fehlte ein Space nach S. )
die Idee der Fächergruppe weiter ausgeführt.